Die Maifliegenzeit an der Fischa – nichts für schwache Nerven

Von Emir Numanovic

Die junge Bäuerin war bestens gelaunt und hupfte im Sitz ihres großen, gelben Traktors zur Santanas „Black Magic Woman“. Sie fuhr einen Weg direkt neben dem Wasser und winkte mir herzlich zu. Es war ein herrlicher Anblick an einem wunderschöner Tag. Am Ufer gegenüber schnarchten sich die Enten durch ihr Mittagsschläfchen, und die Fischa glänzte in ihrem altbekannten hellgrün.

Ich erwiderte den netten Gruß der Bäuerin und hielt kurz inne. Endlich war Ruhe ans Wasser zurückgekehrt, und endlich konnte ich wieder die Fischerei mit allen Sinnen genießen. An diesen Moment wollte ich mich erinnern, und ich verewigte ihn mit einem Selbstportrait. Anschließend schoss ich noch einige Fotos vom Wasser.

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Fürs Fotografieren gab es jetzt auch mehr Zeit und mehr Ruhe. Es war Mitte Juni, der große Schlupf war im Großen und Ganzen vorbei, und die vollgefressenen Fische nahmen die Fliegen sehr selektiv. Nur da und dort stieg ein Fisch, aber dafür hatte ich keinen Nerv mehr. Meine Fliegenbox war auch schon ziemlich leer und auch die unzähligen Hänger im Gebüsch, mit meiner allzu langen 3er Rute von 8,6 Ft – auch auf das hatte ich keine Lust mehr. Die Natur genießen war spannender, und das war ganz ok so.

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Doch wie kam es, dass mich die Maifliegenzeit an der Fischa so sehr in ihre Bannen zog und dass ich so verbissen große Forellen fangen wollte, bis mir die Lust am Fischen fast vorbei gegangen war?

Um das zu beantworten, muss zuerst ein wenig über die Fischa selbst gesagt werden.

Die Fischa ist ein kleiner Fluss in Niederösterreich, mein Revier ist etwa eine halbe Autostunde von Wien entfernt. Sie bekommt das Wasser aus nur einer Quelle, der Wasserstand und die Temperatur sind immer konstant, und die Fischerei ist somit während des ganzen Jahres möglich. Das ist nett, macht die Fischa aber gleichzeitig sehr anspruchsvoll. Im langsam fließenden und äußerst klarem Wasser, sind Fische extrem scheu und vorsichtig. An einem sonnigen Tag bemerken sie auch die kleinste Bewegung am Ufer oder im Wasser, und sind sofort dahin. Dazu ist die Fischa extrem verwachsen, permanent bleibt man hängen und das alleine kann schon frustrierend genug sein.

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Es war auch mein erstes Jahr an dem Wasser und auch meine erste Begegnung mit der Maifliege überhaupt. In den Jahren davor habe ich sehr viel Spannendes über die Maifliegenzeit an der „magischen“ Fischa gehört und gelesen; von riesigen, wilden Bachforellen war immer wieder Rede, die nur zur Maifliegenzeit auftauchen und sich voll fressen  – um dann für den Rest des Jahres wieder in ihren Unterständen zu verschwinden. Auch das ließ natürlich die Spannung steigen.

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Dann war ich für das große Fressen absolut unvorbereitet: zu wenige Fliegen, viel zu lange Ruten und viel zu wenig Zeit, so konnte ich in den Wochen nur einige Male ans Wasser, immer nur für einige Stunden.

Aber das alles wäre nicht so schlimm gewesen, wäre da nicht der eine verlorene Riese, an den ich auch heute noch manchmal denke. Ich erinnere mich noch ganz genau, wie er das erste Mal auf meine Trockene stieg. Die Fliege war bereits vorbei getrieben, doch er war nicht zu faul, drehte sich nach rechts und stieg –  aber er verfehlte sie. Oder ich war zu schnell mit dem Anschlag, das ist, gerade bei der Maifliege, natürlich auch gut möglich. So oder so, ich konnte seinen dunklen Rücken sehen und die knallroten Punkte – was war das für eine wilde Schönheit! In den nächsten drei Wochen warf ich den Fisch immer wieder gezielt an, aber er war auf irgend etwas fixiert, was ich in meiner Box nicht hatte.

Doch als die Maifliegenzeit fast vorbei war, und als ich mit ihm nicht mehr gerechnet hatte, hatte ich ihn plötzlich und unerwartet am Haken. Er nahm einen kleinen Emerger, es war ein sehr unscheinbarer Take, und zog sofort in die Tiefe. Das war sehr aufregend. So aufregend, dass  ich keine Ruhe hatte, den Fisch etwas langsamer zu drillen, und er sich direkt vor meinen Füssen befreien konnte. Ich hatte ihn im Drill sehr forciert, ich nehme an, dass sich die Fliege ausgeschnitten hat.  Im Nachhinein tröstete ich mich, dass ich ihn schneller drillen musste, weil der Fisch an der Fischa schnell einmal im Unterholz verschwindet, aber nein. Es war mein Fehler, ich war zu nervös und ungeduldig.

Dann vergingen einige Tagen, und gerade als ich mich beruhigt hatte, rief ein Kollege an und meinte, er habe meinen Fisch gefangen. Das muss man sich einmal an der Zunge zergehen lassen: Er habe meinen Fisch gefangen! An der selben Stelle, mit der selben Fliege. Das war schon ziemlich bitter. Ich bilde mir zwar ein, mein Fisch war noch größer, aber dennoch. Zudem rief derselbe Kollege in den nächsten Tagen immer wieder an und schickte mir Fotos von neuen Fängen, aber es nutzte nichts: ich hatte viel zu viel in der Arbeit zu erledigen, und viel zu wenig freier Zeit. Was soll`s, dachte ich, es ist wohl nicht mein Jahr, es sind wohl nicht meine Fische. Außerdem hatte auch ich einige schöne Fänge und, viel wichtiger eigentlich, ich war Zeuge eines wahren Spektakels.

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Es ist schon unglaublich, wie unbekümmert und unvorsichtig die wilden Bachforellen werden können, wenn hunderte von Maifliegen durch die Wasseroberfläche schlüpfen. Wenn die dicken Fünfziger die Emerger direkt vor deinen Füßen jagen, und wenn sie, wie in einem Zeichentrickfilm, vertikal in der Luft schwebend, mit ganzem Körper gut 20 cm über die Wasseroberfläche, nach einer großen Maifliege schnappen.

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Doch damit es künftig nicht nur beim Beobachten vom Spektakel bleibt, habe ich für das nächste Jahr einen Plan: Ich bereite möglichst viele verschiedene Fliegenmuster vor, ich besorge mir stärkeres und kürzeres Gerät, und das Wichtigste: wenn der große Schlupf kommt, nehme ich mir Urlaub!